In dieser Studie geht es um ungewollte On-Target-Veränderungen des Erbguts in menschlichen Zelllinien, nachdem mit der Genschere CRISPR/Cas ein DNA-Doppelstrangbruch an der Zielregion herbeigeführt wurde.
Zum Verständnis der hier gefundenen Effekte ist es wichtig, den Aufbau und die Funktion von Chromosomen zu kennen: Beim Menschen liegen zwei vollständige Chromosomensätze vor, ein Satz vom Vater, der andere von der Mutter, man spricht von homologen Chromosomen. Ein Chromosom besteht aus zwei Chromosomenarmen, auch Schwesterchromatide genannt, die an einem Zentromer zusammengehalten werden. Das Zentromer dient während der Zellteilung dazu, dass beide Tochterzellen jeweils eine Kopie (jeweils ein Schwesterchromatid) der Chromosomen erhalten. Im Verlauf des Zellzyklus werden die Schwesterchromatide dann wieder verdoppelt.
Nun zum Inhalt des Artikels: Die DNA wird bei einer Anwendung der Genschere CRISPR/Cas in zwei Teile geschnitten: ein Teil, das mit dem Zentromer des Chromosoms verbunden bleibt, und ein weiteres Stück, das nicht mehr mit dem Zentromer verknüpft ist. Diese „freien“ DNA-Stücke können zum Teil in sogenannte Mikrokerne eingeschlossen werden, die dann zusätzlich zum Zellkern in der Zelle vorliegen. Mikrokerne können in Zellen durch verschiedene Einwirkungen entstehen, also beispielsweise als Folge eines nicht reparierten DNA-Doppelstrangbruchs. Mikrokerne sind ein Hinweis auf genetische Instabilität.
Die Wissenschaftler untersuchten menschliche Zelllinien, die sie mit der Genschere CRISPR/Cas in Form von bereits zusammengesetzten Ribonucleoproteinen (RNPs) ausstatteten, um in unabhängigen Experimenten verschiedene Zielregionen auf vier verschiedenen Chromosomen zu verändern. Dabei zeigte sich, dass die Häufigkeit der Bildung von Mikrokernen zwischen 2.1-6.6% liegt. Durch die Anwendung von CRISPR/Cas in den humanen Zellen wird die Bildung von Mikrokernen um ein Vielfaches erhöht im Vergleich zu den Kontrollen. .
Die Wissenschaftler der Studie untersuchten die DNA-Stücke in den Mikrokernen der genomeditierten humanen Zelllinien genauer: Die DNA-Stücke wurden massiv umstrukturiert und liegen zum Teil in verschiedenen Kopien vor. Es ist zu einem Effekt namens „Chromothripsis“ gekommen. Chromothripsis beschreibt einen Mutationsprozess, zu dem es in einer Zelle durch ein einmaliges „katastrophales“ Ereignis kommen kann: in diesem Fall durch die Erzeugung des DNA-Doppelstrangbruchs an der Zielregion. Dabei treten strukturelle Umlagerungen auf und die Kopienzahl der DNA-Abschnitte schwankt stark aufgrund von Deletionen und Vervielfältigung dieser Bereiche. Chromothripsis tritt häufig in menschlichen Krebszellen und bei bestimmten Erbkrankheiten auf. Besonders problematisch ist dieser Effekt also bei einer therapeutischen Anwendung von CRISPR/Cas. Die Autoren der Studie sprechen sich dafür aus, dass die Weiterentwicklung von Cas-Varianten vorangetrieben werden muss, die auf das Zerschneiden beider DNA-Doppelstränge verzichten und damit diesen Effekt dann unwahrscheinlicher machen.
Bei Pflanzen wurde diese Verbindung zwischen der Anwendung von CRISPR/Cas und Chromothripsis noch nicht beschrieben. Chromothripsis wurde jedoch schon bei der Erzeugung von doppelhaploiden Pflanzen beobachtet .
Leibowitz ML, Papathanasiou S, Doerfler PA, Blaine LJ, Sun L, Yao Y, Zhang C-Z, Weiss MJ, Pellman D (2021) Chromothripsis as an on-target consequence of CRISPR–Cas9 genome editing. Nature Genetics. doi:10.1038/s41588-021-00838-7