CRISPR/Cas9 deletions induce adverse on-target genomic effects leading to functional DNA in human cells

Hintergrund
Der Einsatz der Genschere CRISPR/Cas kann neben kleinen Insertionen oder Deletionen (Indels) auch zu großen strukturellen Veränderungen in der DNA führen. Diese unbeabsichtigten Veränderungen können sowohl im Bereich der Zielregion (On-Target-Effekt) als auch in anderen DNA-Bereichen auftreten, wenn diese bspw. der Zielregion sehr ähnlich sind (Off-Target-Effekt). Solche ungewollten strukturellen Veränderungen wurden z.B. in Experimenten an Zebrafischen sowohl in der Zielregion als auch in Nichtzielregionen festgestellt (Höijer et al., 2022). Leibowitz et al. (2021) konnten beim Einsatz der Genschere in menschlichen Zelllinien ebenfalls extreme unbeabsichtigte Veränderungen an der Zielregion des Erbguts feststellen.

Ergebnisse der Studie von Geng et al.
In der Studie von Geng et al. wurde untersucht, ob der Einsatz von CRISPR/Cas9 mit einer dualen guide RNA zu Veränderungen an der Zielregion (On-Target-Region) führen kann. Im Gegensatz zu einfachen gRNAs veranlassen duale gRNAs die Genschere Cas9 dazu, längere DNA-Sequenzen aus dem Erbgut zu entfernen. Dabei wird am Anfang und am Ende der Zielregion ein Doppelstrangbruch induziert und somit die Zielsequenz herausgeschnitten. Bei den In-vitro-Versuchen an menschlichen Zelllinien (HAP1 und HepG2) umfasste die untersuchte Zielregion zwei nahe beieinanderliegende Gene, die für zwei tRNAs codieren. tRNAs sind essenzielle Komponenten in der Proteinbiosynthese. Bei der Translation vermitteln sie als Adaptermoleküle passend zur jeweiligen mRNA-Sequenz die richtigen Aminosäuren für den Zusammenbau der Proteine an den Ribosomen. Zum Zeitpunkt, an dem die tRNA-Gene von dem Enzym RNA-Polymerase III abgelesen werden, befindet sich dieser Genabschnitt im aktiven Zustand. Dieser aufgelockerte, auch euchromatisch bezeichnete Zustand wird durch die Beteiligung von sogenannten Histon-Proteinen ermöglicht, die dafür sorgen, dass die DNA für die RNA-Polymerase III zugänglich ist.

Nachdem die Genschere die beiden ausgewählten tRNA-Gene entfernt hat, sollte weder die RNA-Polymerase noch die Histone in der Zielregion binden können. Die WissenschaftlerInnen stellten jedoch bei mehreren Zellklonen, in denen die Genschere erfolgreich geschnitten hatte, fest, dass trotzdem beide Elemente gebunden wurden. Daraufhin untersuchten sie die Veränderungen noch einmal im Detail und überprüften zudem, welche biologische Prozesse in der veränderten Zielregion noch stattfanden. Für diese Untersuchungen mussten einige Methoden zuerst neu entwickelt werden.

Ihre Ergebnisse zeigten mehrere Veränderungen in der Zielregion bei verschiedenen Klonen und in beiden Zelllinien. Obwohl CRISPR/Cas9 wie beabsichtigt in der Zielregion geschnitten hat, konnten die WissenschaftlerInnen zeigen, dass die herausgeschnittenen DNA-Fragmente nicht aus dem Zellkern entfernt wurden. Stattdessen wurden die geschnittenen Fragmente sowohl mehrfach als teilweise auch in umgekehrter Orientierung wieder an der Zielregion eingebaut. Zusätzlich konnten sie die Integration weiterer exogener und endogener DNA-Fragmente sowie eine große Deletion, die in der Nähe der Zielregion auftrat, feststellen. Außerdem fand in einem Klon Chromothripsis statt, also eine ungewollte Umlagerung von Chromosomen, die zu einer Umgestaltung der Zielregion führte. In Bezug auf die Proteinbiosynthese konnten sie nachweisen, dass die aus der Zielregion entstandenen Fragmente weiterhin abgelesen und tRNAs synthetisiert wurde, wenn auch in geringerer Menge als zuvor. Außerdem wurden auch die zusätzlich eingefügten exogenen DNA-Fragmente abgelesen und nicht, wie erwartet, von der Zelle stillgelegt, indem sie dichter verpackt wurden (Heterochromatin).

Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, wie komplex die Reparaturmechanismen menschlicher Zellen nach dem Einsatz von CRISPR/Cas9 sind und dass unterschiedliche, ungewollte Veränderungen an der Zielregion auftreten können, die mit Konsequenzen für die Proteinbiosynthese einhergehen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, die Zielregionen nach dem Einsatz der Genschere genaustens auf mögliche Veränderungen zu überprüfen. Dafür empfehlen die WissenschaftlerInnen etwas umfangreichere Methoden, wie z.B. die Long-Read-Sequenzierung (bei der längere DNA-Abschnitte als bei der üblichen Sanger-Sequenzierung untersucht werden), da die ungewollten DNA-Veränderungen möglicherweise sehr komplex sind, auch gleichzeitig stattfinden und von den gängigen Nachweismethoden wie der Sanger-Sequenzierung und anschließenden PCR-Verifikationsmethoden übersehen werden können. Außerdem halten sie eine anschließende Untersuchung der möglichen biologischen Auswirkungen, die solche Veränderungen zur Folge haben, für unabdingbar.

Relevanz der Ergebnisse
In Bezug auf die neue Gentechnik weist die Studie zum einen nach, dass der Einsatz von CRISPR/Cas9 zu massiven strukturellen Veränderungen in der Zielregion und infolgedessen zu ungewollten Effekten führen kann. Zum anderen zeigt sie, wie ausschlaggebend die Wahl und der Umfang der Methoden für das Aufspüren von Veränderungen in der Zielregion sind. In der Studie wurden keine Nichtzielregionen (Off-Target-Regionen) untersucht, da von der Einzigartigkeit der Zielsequenz ausgegangen wurde. Es wäre dennoch sinnvoll, in Zukunft auch die Regionen außerhalb der Zielregion miteinzubeziehen.

Referenzen

Geng, K., Merino, L. G., Wedemann, L., Martens, A., Sobota, M., Søndergaard, J. N., White, R.J. & Kutter, C. (2021). CRISPR/Cas9 deletions induce adverse on-target genomic effects leading to functional DNA in human cells. bioRxiv.
Höijer, I., Emmanouilidou, A., Östlund, R. et al. CRISPR-Cas9 induces large structural variants at on-target and off-target sites in vivo that segregate across generations. Nat Commun 13, 627 (2022). https://doi.org/10.1038/s41467-022-28244-5.
Leibowitz ML, Papathanasiou S, Doerfler PA, Blaine LJ, Sun L, Yao Y, Zhang C-Z, Weiss MJ, Pellman D (2021) Chromothripsis as an on-target consequence of CRISPR–Cas9 genome editing. Nature Genetics. doi:10.1038/s41588-021-00838-7.