Allele-Specific Chromosome Removal after Cas9 Cleavage in Human Embryos

In diesem Paper wird beschrieben, wie mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas9 Mutationen in menschlichen Embryonen verändert werden sollen, die eine genetische Erbkrankheit auslösen. Diese Krankheit wird durch eine Mutation im EYS-Gen vermittelt und verursacht Blindheit (Retinitis pigmentosa, Netzhautdegeneration). Der Forschungsansatz der Wissenschaftler sieht vor, dass die Genschere CRISPR/Cas9 einen Doppelstrangbruch innerhalb des mutierten EYS-Gens des väterlichen Chromosoms im befruchteten menschlichen Embryo bewirkt. Das mütterliche Chromosom (ohne die krankmachende Mutation) soll nun als Reparaturvorlage dienen, um den Doppelstrangbruch im EYS-Gen zu reparieren. Der Wegweiser (guide RNA, gRNA) für die Genschere wurde so entworfen, dass das CRISPR/Cas9-System das mutante EYS-Allel (also die krankmachende Variante des EYS-Gens) des Vaters erkennt, nicht aber das normale der Mutter.

Ein männlicher Patient mit der Krankheit diente als Spender für die Versuche. Es wurden Spender-Eizellen mit dem Sperma befruchtet (in unterschiedlichen Entwicklungsstadien des Embryos) und die Genschere CRISPR/Cas9 (als Proteinkomplex) mitsamt der guide RNA eingeschleust. In keinem der Experimente wurde, wie anfänglich vermutet, das mütterliche gesunde Gen während des Genomeditierungsprozesses in der Zelle dazu verwendet, um den Doppelstrangbruch des väterlichen Chromosoms und damit die Mutation zu reparieren. Die Hälfte der genomeditierten Embryonen enthielten Zellen, in denen der Zielbereich des EYS-Gens des Vaters verändert wurde (kleine Insertionen, Deletionen oder Punktmutationen).

Überraschenderweise fanden die Wissenschaftler jedoch heraus, dass in vielen Fällen Teile des väterlichen Chromosoms 6, auf dem das EYS-Gen liegt, bis hin zum gesamten Chromosom 6 verloren gegangen waren. Nicht reparierte Doppelstrangbrüche innerhalb der Zielsequenz des EYS-Gens führen anscheinend dazu, dass während der Zellteilung die Chromosomen nicht wie normalerweise vollständig auf die beiden Tochterzellen aufgeteilt werden können. Das bewirkt während der Zellteilung den Verlust von großen Teilen des Chromosoms bzw. des gesamten Chromosoms. Normalerweise erkennen spezifische Kontrollmechanismen vor der Zellteilung Schäden an der DNA und verhindern die Zellteilung.

Warum diese Kontrollmechanismen im Falle des CRISPR/Cas9-verursachten Doppelstrangbruchs nicht greifen, bleibt unklar. Außerdem ist fraglich, warum die Doppelstrangbrüche in den Experimenten so lange unrepariert geblieben sind und nicht von den zelleigenen Reparaturmechanismen erkannt wurden. Das Schicksal der verloren gegangenen Chromosomen bzw. Teilen davon bleibt auch ungeklärt. Möglicherweise könnten Abschnitte davon an einer anderen Stelle des Erbguts wieder eingebaut worden sein. Eine andere Studie wies in menschlichen Zelllinien bereits darauf hin, dass Fragmente von Chromosomen nach der Anwendung von CRISPR/Cas9 in Mikrokernen eingeschlossen werden können .

Der Verlust von chromosomalen Teilen kann verschiedene Auswirkungen auf die Entwicklung des Embryos haben: Es können Krebszellen entstehen, Geburtsfehler auftreten oder aber der gesamte Embryo kann absterben.
Zusätzlich fanden die Wissenschaftler heraus, dass dieser Effekt auch Off-Target-Bereiche, also Bereiche, die der eigentlichen Zielsequenz sehr ähnlich sind und durch die Genschere geschnitten werden können, betrifft: Die unbeabsichtigte Aktivität der Genschere CRISPR/Cas9 an einem Off-Target Bereich auf Chromosom 16 bewirkte den Verlust von Teilen des väterlichen als auch des mütterlichen Chromosoms.
Die Autoren der Studie sprechen sich dafür aus, dass die Weiterentwicklung von Cas-Varianten (z.B. Base-Editing und Prime-Editing) vorangetrieben werden muss, die auf das Zerschneiden beider DNA-Doppelstränge verzichten und damit diesen Effekt unwahrscheinlicher machen.

Zuccaro MV, Xu J, Mitchell C, Marin D, Zimmerman R, Rana B, Weinstein E, King RT, Palmerola KL, Smith ME, Tsang SH, Goland R, Jasin M, Lobo R, Treff N, Egli D (2020) Allele-Specific Chromosome Removal after Cas9 Cleavage in Human Embryos. Cell. doi:https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.10.025