Grundlagen der Genomstruktur
In Eukaryoten, also Tieren, Pflanzen und Pilzen, liegt der überwiegende Teil der DNA in strangförmigen Chromosomen vor. Sie bestehen aus Chromatin, das ist DNA, die vielfach um Histon-Proteine gewickelt ist, und weiteren DNA-bindenden Proteinen. Im Chromatin ist die DNA um ein Vielfaches verkürzt, sehr kompakt organisiert und auch geschützt. Die Struktur des Chromatins kann abschnittsweise variieren, zum Beispiel indem die DNA unterschiedlich stark methyliert ist oder indem die Histone-Proteine acetyliert sind (epigenetische Veränderungen). Beides verändert die Chromatinstruktur und bestimmt, ob die DNA zugänglich ist: Liegt die DNA locker verpackt vor, können die darin enthaltenen Gene durch Enzyme repliziert und exprimiert werden. Die lockere Form nennt man Euchromatin. Im Gegensatz dazu unterscheidet man Heterochromatin, hier ist die DNA dicht gepackt und weitgehend inaktiv.
Ergebnisse der Studie von Weiss et al.
In der Studie von Weiss et al. wurde untersucht, ob die Chromatinstruktur einen Einfluss darauf hat, wie effektiv der Einsatz der Genschere CRISPR/Cas9 ist und wie dabei das Genom verändert wird. Dafür wurden im Genom der Modellpflanze Arabidopsis thaliana identische CRISPR/Cas9 Zielsequenzen gesucht, die in unterschiedlichen Chromatinstrukturen vorliegen und sich dadurch für einen Vergleich eignen. CRISPR/Cas9 wurde daraufhin stabil in das Genom der Pflanzenzellen integriert und der Ausgang des Genschereneinsatzes mit Hilfe von Next Generation Sequencing, also modernster DNA-Sequenzierung, überprüft.
Die WissenschaftlerInnen stellten fest, dass die DNA durch CRISPR/Cas9 in Heterochromatin-Regionen seltener verändert wurde als in Euchromatin-Regionen. Gleichwohl schwankte die CRISPR/Cas9 Effektivität auch unterschiedlich stark in den untersuchten Euchromatin-Regionen.
Um die CRISPR/Cas9 Effektivität im Heterochromatin zu steigern, wurde die damit verbundene Anzahl der DNA-Methylierungen reduziert. Hierfür wurde ein Enzym ausgeschaltet, das DNA methyliert, und das Genom mit einer Chemikalie behandelt, die DNA-Methylierungen reduziert. Tatsächlich konnte so die Mutagenesefrequenz, also die Anzahl der Veränderungen, in einigen Bereichen des Heterochromatins gesteigert werden.
Weitere Analysen sollten die Frage beantworten, ob die Chromatinstruktur auch den Ausgang einer CRISPR/Cas9 Mutagenese beeinflussen kann, also ob zum Beispiel eine Insertion oder Deletion an der Zielsequenz entsteht. Die Ergebnisse der Studie von Weiss et al. zeigen, dass bestimmte Histon-Modifikationen hier tatsächlich einen Einfluss haben: Insertionen traten weniger häufig auf. Der dahinter liegende Mechanismus wurde nicht untersucht, vermutet werden eine direkte oder indirekte Beeinflussung der DNA-Reparaturmechanismen, die den Doppelstrangbruch unterschiedlich reparieren.
Relevanz der Ergebnisse
Die Ergebnisse der genannten Studie zeigen, dass die Effektivität eines CRISPR/Cas9 Einsatzes in Arabidopsis durch die Chromatinstruktur des Genoms beeinflusst wird. Andere Studien kommen zu gegenteiligen Ergebnissen, nämlich dass DNA in Eu- und Heterochromatinstrukturen gleich gut mit der Genschere geschnitten und verändert wird (Feng et al. 2016, Kallimasioti-Pazi et al. 2018, Yu et al. 2013). Die gegensätzliche Studienlage deutet darauf hin, dass die CRISPR/Cas9 Effizienz nicht per se an Heterochromatinstrukturen scheitert, sondern der Einfluss der Epigenetik sehr komplex ist (Přibylová et al. 2022).
Daher ist auch anzunehmen, dass Vorhersagen über CRISPR/Cas9 Einsätze durch bisher entwickelte bioinformatische Programme eher ungenau sind. Diese Programme berücksichtigen hauptsächlich die DNA-Sequenz; epigenetische Daten fließen bisher kaum ein, um den Ausgang einer CRISPR/Cas9 Mutation zu bestimmen.
Ein weiterer interessanter Aspekt der Publikation ist der Versuch, die Effizienz von CRISPR/Cas9 durch Umgehung der natürlichen Schutzmechanismen der DNA zu steigern. Dies gelang in diesem Fall durch die Reduzierung der DNA-Methylierungen. Eine vorangegangene Studie baute die Chromatinstruktur durch die Fusion von CRISPR/Cas9 mit einer Transkriptionsaktivierungs-Domäne um und steigerte so die Effektivität der Genschere (Liu et al 2019). In Zukunft ist es wahrscheinlich möglich, die Effizienz von Genscheren weiter zu maximieren, so dass die DNA noch leichter zugänglich wird und somit weitere natürliche Schutzmechanismen umgangen werden können.
Referenzen
Weiss T, Crisp PA, Rai KM, Song M, Springer NM, Zhang F. Epigenetic features drastically impact CRISPR-Cas9 efficacy in plants. Plant Physiol. 2022 Jun 11:kiac285. doi: 10.1093/plphys/kiac285. Epub ahead of print. PMID: 35689624.
Feng C, Yuan J, Wang R, Liu Y, Birchler JA, Han F. Efficient Targeted Genome Modification in Maize Using CRISPR/Cas9 System. J Genet Genomics. 2016 Jan 20;43(1):37-43. doi: 10.1016/j.jgg.2015.10.002. Epub 2015 Oct 30. PMID: 26842992.
Kallimasioti-Pazi EM, Thelakkad Chathoth K, Taylor GC, Meynert A, Ballinger T, Kelder MJE, Lalevée S, Sanli I, Feil R, Wood AJ. Heterochromatin delays CRISPR-Cas9 mutagenesis but does not influence the outcome of mutagenic DNA repair. PLoS Biol. 2018 Dec 12;16(12):e2005595. doi: 10.1371/journal.pbio.2005595. Erratum in: PLoS Biol. 2019 Feb 21;17(2):e3000160. PMID: 30540740; PMCID: PMC6306241.
Liu G, Yin K, Zhang Q, Gao C, Qiu JL. Modulating chromatin accessibility by transactivation and targeting proximal dsgRNAs enhances Cas9 editing efficiency in vivo. Genome Biol. 2019 Jul 26;20(1):145. doi: 10.1186/s13059-019-1762-8. PMID: 31349852; PMCID: PMC6660936
Přibylová A, Fischer L, Pyott DE, Bassett A, Molnar A. DNA methylation can alter CRISPR/Cas9 editing frequency and DNA repair outcome in a target-specific manner. New Phytol. 2022 May 6. doi: 10.1111/nph.18212. Epub ahead of print. PMID: 35524464.
Yu Z, Ren M, Wang Z, Zhang B, Rong YS, Jiao R, Gao G. Highly efficient genome modifications mediated by CRISPR/Cas9 in Drosophila. Genetics. 2013 Sep;195(1):289-91. doi: 10.1534/genetics.113.153825. Epub 2013 Jul 5. PMID: 23833182; PMCID: PMC3761309.