In dieser Studie wird ein neues Genome-Editing-Verfahren namens „Retron Library Recombineering“ (RLR) vorgestellt. Das Verfahren bedient sich sogenannter Retrons, um damit gezielte Veränderungen im Erbgut von Bakterien herbeizuführen.
Grundlagen von Retrons
Retrons kommen natürlicherweise in vielen verschiedenen Bakterienstämmen vor und sind ein Teil des bakteriellen Immunsystems: Sie schützen die Bakterien vor bestimmten Viren, sogenannten Bakteriophagen. Retrons führen dazu, dass sich Bakterien, die mit Bakteriophagen infiziert wurden, selbst zerstören. Damit soll verhindert werden, dass sich die Bakteriophagen in den infizierten Bakterien vervielfältigen und dann andere Bakterien befallen.
Ein Retron ist ein genetisches Element, das sich im Erbgut von Bakterien finden lässt und sowohl aus der DNA für ein Enzym namens Reverse Transkriptase (RT) als auch aus einem kurzen Stück RNA besteht. Nachdem die RT gebildet wurde, erfüllt sie ihre Funktion: Sie übersetzt das kurze Stück RNA in die dazu gehörende DNA. Die RNA und die DNA bilden dann ein RNA/DNA-Mischmolekül, das mit der RT verbunden bleibt. Sobald ein Bakteriophage ein Bakterium infiziert, wird das Retron aktiviert. Das führt dazu, dass ein Effektorprotein, das toxisch für die Bakterienzelle ist, aktiviert wird und deren Zellwand zerstört. Das Bakterium stirbt ab, bevor es andere Bakterien infiziert.
Retrons als neues Genome-Editing-Verfahren
In der Studie, an der auch der Wissenschaftler George Church mitarbeitete, wurden Retrons so angepasst, dass sie ganz gezielte Veränderungen im Erbgut von Bakterien herbeiführen können. George Church war bereits 2013 an der Entwicklung des Genome-Editing-Verfahrens CRISPR/Cas in menschlichen Zellen beteiligt. Auch die Genschere CRISPR/Cas kommt natürlicherweise in Bakterienzellen vor und ist Teil der bakteriellen Immunantwort.
Die Retrons werden in einem Verfahren namens Retron Library Recombineering (RLR) eingesetzt, bei dem die RT dazu genutzt wird, um in den Bakterien kurze einzelsträngige DNA (ssDNA) aus einer RNA-Vorlage zu bilden. Die ssDNA ist homolog zu spezifischen Bereichen des bakteriellen Erbguts und wird während der Replikation (Verdopplung des Genoms) dort eingebaut. Mit diesen ssDNAs können WissenschaftlerInnen gezielt kleine Veränderungen in das Erbgut einbringen. Dieses Verfahren hat gegenüber der Genschere den Vorteil, dass die DNA nicht zerschnitten wird und die DNA uneingeschränkt angesteuert werden kann, also ohne PAM-Sequenzen in der Nähe der Zielsequenz(en).
Bisher wird das RLR-Verfahren an mutanten Bakterienstämmen getestet, die bereits verschiedene Gen-Knockouts in sich tragen, um die Effizienz der RLR-Methode zu steigern. So muss beispielsweise ein Reparaturmechanismus namens MMR (englisch für mismatch repair) ausgeschaltet sein. Dieser erkennt normalerweise während der Replikation, wenn sich Buchstaben der DNA gegenüberliegen, die nicht zueinander passen und bewirkt, dass diese strukturelle Abweichung repariert wird. Der MMR-Mechanismus ist durch Mutationen aus vorherigen Experimenten ausgeschaltet und wurde nun für die RLR-Methode eingesetzt. Damit können mit der RLR-Methode viel effizienter Veränderungen in das Erbgut eingebracht werden, da die MMR strukturelle Abweichungen nicht mehr erkennen und reparieren kann. Bisher wurde RLR nur in Bakterien angewandt und nicht auf Säugetierzellen übertragen. Die WissenschaftlerInnen sehen jedoch auch großes Potential für dieses Verfahren in anderen Organismen.