Hintergrund und Ziele der Studie
WissenschaftlerInnen am Institut für Nutztiergenetik des Friedrich-Loeffler-Instituts haben die Genschere CRISPR/Cas9 dazu verwendet Schweine so zu verändern, dass sie weibliche Geschlechtsorgane ausbilden, obwohl sie einen männlichen Chromosomensatz besitzen. Die AutorInnen geben an, dass ihre Ergebnisse dazu verwendet werden können Ferkelkastration zu vermeiden, die standardmäßig in der Schweinezucht gemacht wird, um den Ebergeruch im Fleisch zu verhindern. Damit soll der Geschmack des Fleisches verbessert werden. Seit 2021 ist die Ferkelkastration ohne Betäubungsmittel in Deutschland gesetzlich verboten. Außerdem könnten solche Tiere genutzt werden, um ein Tiermodell im Schwein zu entwickeln, mit dem menschliche Erbkrankheiten (Störung der Geschlechtsentwicklung, z.B. Swyer-Syndrom) untersucht werden können. Entscheidend für die Geschlechtsbestimmung in Schweinen und im Menschen ist das Y-Chromosom, welches das SRY-Gen trägt. Das SRY-Gen aus dem Schwein stimmt zu 85% mit dem menschlichen SRY-Gen überein. Bisher werden für solche Tiermodelle vor allem Untersuchungen in Nagetieren durchgeführt, das murine SRY-Gen ähnelt dem menschlichen allerdings nur zu 75%. Bei der Studie handelt es sich um Grundlagenforschung, die sich jedoch Anwendungsorientiert präsentiert.
Ergebnisse der Studie
Die Genschere CRISPR/Cas9 und zwei gRNAs werden durch Mikroinjektion in befruchtete Eizellen von Schweinen eingebracht. Die gRNA(s) dient der Genschere als Wegweiser, um die Zielsequenz(en) im Erbgut zu erkennen und dort einen DNA-Doppelstrangbruch einzuführen. Die Verwendung von zwei gRNAs bewirkt die Deletion eines größeren Bereiches (Verlust eines DNA-Abschnittes) innerhalb des SRY-Gens. Die entstandenen (genom-editierten)Embryonen werden dann in Empfängersauen übertragen. Zwei von ihnen brachten insgesamt zwölf Ferkel zur Welt, die alle weibliche Geschlechtsmerkmale zeigten. Drei dieser Ferkel sind genetisch betrachtet männlich, weil sie jeweils sowohl ein X- als auch ein Y-Chromosom besitzen. Sie tragen die Deletion im SRY-Gen in sich, was zu den weiblichen Geschlechter-spezifischen Eigenschaften führt. Eines dieser drei Ferkel wurde kloniert, also stark vereinfacht gesagt: „vervielfältigt“. Die Nachkommen hatten alle dieselbe männliche, genetische Veranlagung, aufgrund der Genom-Editierung haben sie aber weibliche Geschlechtsmerkmale. Die genom-editierten Ferkel zeigten eine normale Gewichtszunahme im Vergleich zu nicht-genom-editierten weiblichen Tieren. Außerdem konnten die WissenschaftlerInnen bis zu einem gewissen Alter keinen Unterschied der äußeren und inneren Geschlechtsorgane feststellen. Ab einem bestimmten Alter kam es bei den genom-editierten Ferkeln jedoch zu einem ganz klaren Größenunterschied der inneren Geschlechtsmerkmale. In nachfolgenden Untersuchungen zeigte sich, dass die genom-editierten Tiere unfruchtbar sind. Den Grund für die Unfruchtbarkeit sehen die WissenschaftlerInnen im fehlenden zweiten X-Chromosom, das wenige, aber wichtige Gene enthält, die für die Fruchtbarkeit der Schweine notwendig sind.
Suche nach unbeabsichtigten Veränderungen
Die Studie untersuchte das Erbgut der drei genom-editierten Ferkel in Bezug auf das Vorhandensein von Off-Target Effekten mit Hilfe von routinemäßig durchgeführten PCR-Methoden. Dafür analysierten die WissenschaftlerInnen zunächst das Erbgut eines Referenzgenoms mit Hilfe einer Software, welches die möglichen Bereiche berechnete, an denen unbeabsichtigte Off-Target Effekte auftreten können. Off-target Effekte sind unbeabsichtigte Veränderungen (Mutationen) des Erbguts, die an Bereichen auftreten können, die dem Zielbereich ähnlich sind. Die WissenschaftlerInnen analysierten jeweils die ersten zehn berechneten Off-Target Bereiche der jeweiligen gRNA und fanden dort keine unbeabsichtigten Veränderungen. Bei der zytogenetischen Untersuchung der Chromosomen fiel allerdings auf, dass es bei einem der Ferkel zu einer unbeabsichtigten Veränderung (Umlagerung eines Chromosomenarmes) des 7.ten Chromosoms gekommen ist. Der Grund für diese Inversion ist unklar. Die AutorInnen der Studie spekulieren, dass es unwahrscheinlich ist, dass der Effekt auf die Aktivität der Genschere zurückzuführen ist, da diese Insertion an keiner der berechneten Off-Target-Regionen aufgetreten ist. Bei den Kontrollen und den anderen genom-editierten Tieren trat dieser Effekt jedoch nicht auf. Es ist jedoch nicht komplett auszuschließen, dass die Umlagerung auf eine unbeabsichtigte Aktivität von CRISPR/Cas9 zurückzuführen ist. Die Konsequenzen dieser Inversion, sowie die betroffenen DNA-Sequenzen wurden nicht weiter untersucht. Die AutorInnen fügen jedoch hinzu, dass Whole Genome Sequencing Verfahren angewandt werden sollten, um das Erbgut unvoreingenommen nach unbeabsichtigten Veränderungen zu untersuchen, die evtl. durch ungewollte Aktivitäten der Genschere bewirkt wurden. Whole Genome Sequencing Verfahren sind moderne DNA-Sequenzierungsverfahren, die das Entschlüsseln der genauen Abfolge der Basen des Erbgutes ermöglichen.
Kurtz, S., et al. (2021). „Knockout of the HMG domain of the porcine SRY gene causes sex reversal in gene-edited pigs.“ Proceedings of the National Academy of Sciences 118(2): e2008743118.